„Manfred Unterwegers Werke strahlen eine unverhohlene Kraft und Präsenz aus. Er weckt mit seinen Werken unsere Neugierde. Er hinterfragt, wühlt auf, lässt uns grübeln, innehalten. Unterwegers Konzeptkunst ist politisch, sozialkritisch, kurz: substanziell.
In den letzten Jahren ist Unterweger stark auf der ganz eigenen, aufrüttelnden, für den Betrachter nicht immer leicht zu verdauenden Schiene der gesellschaftskritischen Konzeptkunst gefahren. Werke wie zum Beispiel die Serie Business as Usual (2009‒2013) hatten Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China zum Thema. Ein anderes Hauptthema war der weltweite Umgang mit der Todesstrafe. Über Jahre hinweg hat sich der Künstler intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt. Symbolhaft für diese Thematik steht hier der Smith & Wesson Revolver. In einer Variante zeigt Unterweger brillant und unmissverständlich, zu welchem Zweck Waffen geschaffen werden: zum Töten. Der Revolver ist aus Asche gearbeitet und auf Kohlenstaub montiert. Ashes to ashes, dust to dust. In Killing Lies bilden auseinandergerissene Fragmente chinesischer Zeitungen unmissverständlich denselben Waffentyp. Der Revolver ist im Profil abgebildet und somit nicht auf uns gerichtet. Eine unmittelbare Gefahr für Leib und Seele gibt es hier nicht. Und doch geht eine Bedrohung von der stilisierten Schusswaffe aus, die brutal und nahbar und doch auf ganz subtile Art und Weise auf Verbrechen und Gewalt aufmerksam machen will. In diesem Fall verweist der Künstler auf die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die staatlich gelenkte Medienlandschaft in China. Die Abbildung des Revolvers taucht in verschiedenen Ver- und Abwandlungen auf: Aus Gummibärchen gebildet, symbolisiert Unterweger die übertriebene Waffenliebe der Nordamerikaner, die so nah mit Hollywood, Glamour und Schein im Land der Superlative einhergeht.
In seinen neuesten Werken, hauptsächlich Objekte und Installationen, sieht sich der Künstler von Dada inspiriert. Der international agierende Allroundkünstler mit Sitz in Stuttgart erweitert diese jedoch noch um ein weiteres Level. Während Unterweger massenproduzierte, gewöhnliche Objekte wie Besen, Teller oder Pinsel in spannender Weise mit anderen herkömmlichen und unspektakulären Dingen kombiniert, wird ‒ wie bei Marcel Duchamps, dem Meister der Readymades ‒ kräftig parodiert und mit Übertreibung gearbeitet. Bei Unterweger, dem genialen Multitasker, kommt in diesen dadaistisch angehauchten Werken jedoch außer scharfsinnigem Humor noch weiteres, Tiefsinnigeres, zutage. Denn ein Werk wie Kehrwoche (2015), eine Holzkrücke, die in einem Besen endet, kommt scheinbar leichtfüßig wie neues Handwerkszeug für Fußkranke daher, ganz nach dem erfinderischen Motto: neue Besen kehren gut! Offensichtlich weist der Titel der Arbeit auf die wöchentlichen Säuberungsaktionen der Schwaben hin, die teilweise mit höchster Akribie ausgeführt werden. Mit einem Augenzwinkern wird in diesem Fall darauf aufmerksam gemacht, dass der Schwabe, wenn auch humpelnd, dieser moralischen Verpflichtung unabdingbar nachkommt. Im eigentlichen Sinne ist jedoch wieder Hinterfragung notwendig. Wie ein roter Faden zieht sich durch Unterwegers Werk, dass man nicht beim ersten Blick verharren und das Werk verlassen darf. Weiterbohren ist angesagt. Denn die hölzerne Gehhilfe, die aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg stammt, verweist auf Krieg und Zerstörung. Evoziert werden auch die Massen an Kriegsinvaliden, den gefallenen Helden, die die Straßen Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg bevölkerten. Unterwegers Werk ist allerdings sehr praktisch, denn der Kriegsversehrte kann seine Krücke gleich zur Schuttbeseitigung verwenden. Die Krücke in Kombination mit einem Besen wirft auch die Frage auf, wer hier was unter den Teppich kehren will.
Materialien wie alte Fahrradschläuche und Antennen, sowie auf dem Flohmarkt oder Sperrmüll Gefundenes, ganz im Sinne der Arte Povera, durchziehen sein Werk. Hier glänzt und glitzert nichts. So auch in Es ist angerichtet. Wir dürfen uns wie ein Gast in der Wirtsstube fühlen: vorgesetzt wird uns ein alter Blechteller auf kariertem Tischtuch. Dieser ist aber weder mit leckeren Speisen noch mit sonstigem Essbaren gefüllt. Ganz im Gegenteil, in der Mitte des schon teilweise lädierten Tellers sitzt ein Spülenablauf. Auch der dazugehörige Löffel nützt nichts mehr – alles ist schon weggeputzt. An und für sich ein Werk, das einen schmunzeln lässt. Parodiert hier Unterweger die Gourmetköche, die mit Michelinsternen liebäugeln? Die sich kulinarisch überschlagen und dem Feinschmecker, der oftmals tief in die Tasche greifen muss, in übertrieben wirkender Manier Leckereien zu kredenzen? Mit Abfluss und leerem Essgeschirr in Kombination zum dadaistischen Objekt zusammengefügt spielt der Künstler wieder einmal auf gesellschaftskritische Themen an: die abgrundtiefe Grenze zwischen Arm und Reich, zwischen Hungersnot und Fettleibigkeit, zwischen Leben und Tod. Nahrungsmittelüberfluss in unserer Wohlstandsgesellschaft, die Essen tonnenweise den Abfluss hinunterkippt. Man fragt sich wer den Stopfen hat?
Auch in Zen formuliert der ingeniöse Künstler seine Ideen wieder mit Hilfe kombinierter recycelter, „armer“ Materialien. Das Werk erinnert an einen christlichen Flügelaltar mit aufgeklappten, aber starren Seitenflügeln. Bunt bebildert wie in der christlichen Kunst sind die Seitenflügel aber nicht. Und doch lädt das Herz des Werkes, wie auch die christlichen Altäre, zur Beschauung und Versenkung ein. Und genau das bedeutet Zen: „Zustand meditativer Versenkung.“ Bei Unterwegers Zen Skulptur taucht der Betrachter ein in ornamentale Muster formende Fahrradschläuche, die zu verschieden großen Rollen aufgewickelt und nebeneinander und teilweise übereinander platziert sind. Die Gummirollen lassen unser Auge in Yin und Yang Manier meditativ und in der Kreisform, die an das Sansara erinnern, den immerwährenden Kreislauf des Lebens im Buddhismus, umherwandern. Die spirituelle Komponente der zu Kreisen aufgerollten Fahrradschläuche beinhaltet aber noch eine irdische. Mit den Schläuchen verweist Unterweger nicht nur auf die Millionen Fahrräder, die tagtäglich auf Chinas Straßen unterwegs sind, sondern auch auf dessen immense Bevölkerungsdichte. Dass das ganze Werk in schwarz gehalten ist, eine Bahre evoziert, dadurch den Tod vor Augen führt und aus Abfallprodukten gefertigt ist, greift wieder mit Hilfe des Themas Recycling die Bedeutung des Sansara, des Kreislaufs des Lebens auf.“
(Text von Alix Sharma-Weigold M.A.)
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